Anordnung und Voraussetzungen der Untersuchungshaft

Die Untersuchungshaft wird durch schriftlichen Haftbefehl des Richters angeordnet. Der Erlass des Haftbefehls erfordert stets einen dringenden Tatverdacht. Zudem muss einer der gesetzlich festgelegten Haftgründe vorliegen. Die Untersuchungshaft darf zudem nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen.

Dringender Tatverdacht

Dringender Tatverdacht besteht, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit die hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat und deshalb verurteilt werden wird. Dabei muss es sich um eine rechtswidrige und schuldhaft begangene Tat oder um einen strafbaren Versuch einer solchen Tat handeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass Rechtfertigungs-, Schuld- oder Strafausschließungsgründe vorliegen, beseitigt den dringenden Tatverdacht. Gleiches gilt beim Vorliegen nicht behebbarer Verfahrenshindernisse. Zugunsten des Beschuldigten eingreifende und bereits erkennbare Beweisverwertungsverbote sind bei der Beurteilung des dringenden Tatverdachts zu beachten. Bei der Prüfung des dringenden Tatverdachtes muss der Richter in einer Prognosefeststellung zu dem Ergebnis gelangen, dass die Verurteilung des Täters wahrscheinlich ist. So reicht es nicht aus, wenn nur die Möglichkeit der Überführung und Verurteilung des Täters besteht.

Dem Grade nach ist der dringende Tatverdacht stärker als der hinreichende Tatverdacht, von dessen Vorliegen nach § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens abhängt. Der Haftbefehl setzt nicht Anklagereife voraus, denn der dringende Tatverdacht ist stets nach dem Stand der Ermittlungen zu bewerten, die beim Erlass des Haftbefehls nach vorläufiger Festnahme regelmäßig noch nicht Anklagereife bedingen können.

Haftgründe gemäß § 112 Abs. 2 StPO

Die Haftgründe sind in den §§ 112, 112a StPO abschließend geregelt. Ein Haftgrund darf nur aufgrund bestimmter Tatsachen angenommen werden. Dies verdeutlicht, dass allein anhand eines objektiven Maßstabs über das Vorliegen der Haftgründe befunden werden darf. Subjektive Vermutungen oder Befürchtungen des Haftrichters können dagegen nicht Grundlage einer Haftanordnung sein. Es können auch innere Tatsachen wie etwa die Neigung des Beschuldigten, bestimmte Straftaten zu begehen, festgestellt werden. Bedeutung haben hierbei besonders das Vorleben des Beschuldigten, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, sein soziales Umfeld und seine Beziehungen zu Dritten. Auch Indiztatsachen können berücksichtigt werden. Es können mehrere Haftgründe nebeneinander angenommen werden, wenn und soweit ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Werden Haftgründe nachträglich ausgetauscht oder hinzugefügt, ist stets die erneute Vernehmung des Beschuldigten entsprechend § 115 StPO erforderlich.

Flucht oder sich verborgen halten gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO

Flüchtig ist der Beschuldigte, wenn er sich dem behördlichen Zugriff wegen des drohenden Strafverfahrens oder aus anderen Gründen entzieht. Der Begriff der Flucht enthält ein willentliches Element. Der Beschuldigte muss aber nicht die Absicht haben, das Verfahren verhindern zu wollen, ein bedingter Vorsatz genügt. Verborgen hält sich der Beschuldigte, wenn er unter falschem Namen oder an unbekannten Ort lebt, um sich dem Verfahren zu entziehen. Der Haftgrund muss sich auf bestimmte Tatsachen stützen, die im Freibeweisverfahren festgestellt werden, das heißt zur Überzeugung des Richters gegeben sind. 

Beabsichtigt der deutsche Beschuldigte, im Hinblick auf seine Tat und deren Verfolgung nicht mehr aus dem Ausland zurückzukehren, so ist der flüchtig, auch wenn er im Ausland postalisch oder telefonisch etc. erreichbar ist. Verlegt aber ein Deutscher seinen Wohnsitz zwecks Arbeitsaufnahme in das Ausland, namentlich innerhalb der EU, und teilt er dies seinem Bewährungshelfer mit, so ist er nicht flüchtig. Nicht flüchtig ist der Ausländer, der sich in sein Heimatland zurückzieht, sofern dieser Entschluss nicht mit seiner Straftat in Zusammenhang steht. Unproblematisch ist es daher, wenn er nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses oder aus ausländerrechtlichen Gründen aus Deutschland abreist. Dagegen spricht für einen Zusammenhang mit der Strafverfolgung, wenn sich der Beschuldigte zuvor mit seiner Familie jahrelang im Bundesgebiet aufgehalten und hier seinen Lebensmittelpunkt hatte, sich dann aber im zeitlichen Zusammenhang mit Zugriffshandlungen gegen Mitbeschuldigte in sein Heimatland absetzt.

Der Beschuldigte hält sich verborgen, wenn er, um sich dem Strafverfahren zu entziehen, seinen Aufenthalt vor den Behörden verschleiert, also unangemeldet, unter falschen Namen oder an einem unbekannten Ort lebt oder in anderer Weise bewirkt, dass er für die Ermittlungsbehörden unauffindbar ist. Wer sich nur verbirgt, um sich ausländerpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen, ist nicht flüchtig.

Ist der Beschuldigte, der flüchtig war oder sich verborgen hatte, aufgrund des Haftbefehls ergriffen worden, so entfällt der Haftgrund der Flucht oder des Sichverbergens. Er wird im Zweifel aber ersetzt durch den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, weil die frühere Flucht ein ausreichender Grund für die Annahme von Fluchtgefahr ist, sodass der Haftbefehl nunmehr wegen Fluchtgefahr aufrechterhalten wird.

Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO

Die Fluchtgefahr muss sich aus bestimmten Tatsachen, die im Freibeweisverfahren festgestellt werden, ergeben. Der Freibeweis setzt die Überzeugung des Richters voraus, welche sich gelegentlich erstaunlich leicht bildet.

Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist mit 92,5 % der Fälle der mit Abstand häufigste.

Aus dem Begriff der Gefahr ergibt sich, dass es, anders als bei dem Merkmal der Flucht, für die Anordnung genügt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Flucht gegeben ist. Die Überzeugung, dass der Beschuldigte auch tatsächlich fliehen wird, ist nicht Voraussetzung. Das Sich-Entziehen ist ein Verhalten, das bewirkt, den Fortgang des Strafverfahrens dauernd oder wenigstens vorübergehend durch die Aufhebung der Bereitschaft des Beschuldigten zu verhindern, für Ladungen und Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen. Dieser Erfolg der zeitweise oder dauernd eintretenden Verfahrensvereitelung muss von dem Beschuldigten beabsichtigt, jedenfalls aber erkannt und in Kauf genommen werden. Ein rein passives Verhalten, etwa das bloße Ignorieren von Vorladungen oder bloße Untätigkeit reichen nicht aus. 

Eine Fluchtgefahr begründet in der Regel auffälliger Wohnungs- oder Arbeitsplatzwechsel, Verwendung falscher Namen oder Papiere, Flucht in einem früheren Verfahren oder Verfahrensabschnitt. Für eine Fluchtgefahr sprechen auch die charakteristische Labilität des Beschuldigten, seine Neigung zu Glücksspiel oder Drogenmissbrauch, das Fehlen fester familiärer oder beruflicher Bindungen, leicht lösbare Wohnungsverhältnisse bzw. das Fehlen einer festen Wohnung oder eines festen Aufenthalts. Auch Beziehungen zum Ausland, insbesondere dort (angeblich) befindliches Vermögen und gute Sprachkenntnisse können die Fluchtgefahr begründen.

Die in dem Strafverfahren zu erwartende Strafe wird bei der Prüfung der Fluchtgefahr mitberücksichtigt. Leider kann davon ausgegangen werden, dass eine vom Haftrichter angenommene zu erwartende Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (auch im Falle eines zu erwartenden Bewährungswiderrufs) die Annahme von Fluchtgefahr nach sich zieht. Im Haftbefehl finden sich dann häufig Leerformeln, wonach „die Höhe der zu erwartenden Strafe“ o.ä. die Fluchtgefahr begründet. Ein aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden erfreulicher Nebeneffekt der großzügigen Anordnung von Untersuchungshaft ist die Steigerung der Geständnisbereitschaft des Betroffenen.

Verdunklungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO

Verdunklungsgefahr besteht, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde eine Verdunklungshandlung vornehmen und die Gefahr droht, dass dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird.

Die Verdunklungshandlung muss sich auf die dem Haftbefehl zugrunde liegenden Taten im prozessualen Sinn beziehen. Unzulässig ist es daher, allein aus der Falschaussage zugunsten eines einer anderen Tat Angeklagten auf die Verdunkelung im eigenen Verfahren zu schließen. Dabei müssen die Verdunklungshandlungen mit der für den dringenden Tatverdacht erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit für den Fall zu erwarten sein, dass der Beschuldigte nicht in Haft genommen wird. Die bloße Möglichkeit von Verdunklungshandlungen oder eine günstige Ausgangslage dafür reicht noch nicht für den Verdacht aus, der Beschuldigte werde auch entsprechend handeln. Die Veranlassung Dritter zu Verdunklungshandlungen steht eigenen Verdunklungshandlungen des Beschuldigten gleich (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 lit. c StPO).

Verdunklungshandlungen sind das Vernichten, Beiseiteschaffen, Unterdrücken oder Fälschen von Beweismitteln oder das unlautere Einwirken auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige. Vorsicht ist also geboten, wenn sich der Beschuldigte insbesondere mit Zeugen oder Mitbeschuldigten über die ihm vorgeworfene Tat unterhält.

Das unlautere Einwirken auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige

Die Alternative betrifft das Einwirken auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unerlaubter Weise. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Person, auf die der Beschuldigte einwirkt oder demnächst einwirken will, zu diesem Zeitpunkt schon Mitbeschuldigter, Zeuge, Sachverständiger des konkreten Strafverfahrens ist. Ausreichend ist für die Bejahung des Haftgrundes, dass der Beschuldigte damit rechnet, dass die betreffende Person später in einer dieser Funktionen am Strafverfahren beteiligt sein wird. Auch wer einem gutgläubigen Zeugen eine Aussage aufschwatzt, verdunkelt. Die Einwirkung muss zum Ziel haben, die Beweislage im Verfahren zulasten der Wahrheit zu manipulieren. Besprechen mit Zeugen zur Feststellung ihres Wissens und ohne Anwendung von Druck oder Beeinflussung ist theoretisch zulässig.

Das Verhalten muss in unlauterer Weise erfolgt sein. Unlauter ist die Einwirkung, wenn sie gegen das Gesetz verstößt oder die Ermittlung des Sachverhalts in einer nicht von Gesetz gedeckten Weise stört. Unlauter können das Ziel und die Ermittlungen sein. Verhaltensweisen, die das Gesetz vorsieht, sind nicht unlauter. Damit scheiden zulässige Verhalten z.B. Leugnen, Geständniswiderruf, Verweigerung der Mitwirkung im Strafverfahren, Preisgabe von Mittätern u.ä. aus. Auch die Bitte an eine Beweisperson, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, ist zulässiges Prozessverhalten, allerdings nur solange, als auf den Zeugen kein unmittelbarer oder mittelbarer Druck ausgeübt wird.

Es genügt, dass andere Beweisanzeichen für die Verdunklungsgefahr vorhanden sind, zum Beispiel die frühere Verurteilung des Beschuldigten wegen Meineids oder Vortäuschung einer Straftat oder wegen anderen Delikten, die ihrer Natur nach auf Irreführung angelegt sind. Auch wenn solche Vorverurteilungen nicht festgestellt sind, kann der Umstand, dass die ganze Lebensführung des Beschuldigten auf Drohung, Täuschung und Gewalt abgestellt ist, die Verdunklungsgefahr begründen. Hinzu kommen muss stets die konkrete Gefahr der Verdunklung in dem anhängigen Verfahren, die Absicht allein genügt nicht. Wenn die Verdunklungshandlungen nicht geeignet sind, die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren, darf Untersuchungshaft nicht angeordnet werden. Ein nur auf Verdunklungsgefahr gestützter Haftbefehl muss in der Regel nach Abschluss des Verfahrens im letzten Tatsachenrechtszug aufgehoben werden.

Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112a StPO

Der Haftgrund dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten und auch dem Schutz des Opfers. Der Haftbefehl darf daher nur auf § 112a StPO gestützt werden, wenn die Voraussetzungen des § 112 StPO nicht gegeben sind oder dessen Voraussetzungen zwar vorliegen, der Haftbefehl aber außer Vollzug gesetzt werden müsste. Die Höchstdauer der Untersuchungshaft ist auf ein Jahr beschränkt.

Für die Voraussetzung der Sicherungshaft muss ein dringender Verdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 1 StPO hinsichtlich einer der in S. 1 Nr. 1, 2 abschließend aufgeführten Straftaten (Anlasstaten) bestehen. Ausreichend ist der dringende Verdacht des Versuchs der Tat oder der Teilnahme an ihr, auch der Versuch der Beteiligung nach § 30 StGB.

Die Sicherungshaft setzt die Wiederholungsgefahr sowie die Notwendigkeit der Haft zur Abwendung der Gefahr voraus, in den Fällen der Nr. 2 auch die Erwartung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr. Eine Wiederholungsgefahr ist als Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten gleicher Art und Fortsetzung der Straftat definiert. Erheblich sind Taten, die mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität angehören.

Um gleichartige Taten handelt es sich, wenn die begangenen und künftig zu befürchtenden Taten „rechtsethisch und psychologisch“ vergleichbar sind. Das vergangene und das zukünftige Verhalten des Täters müssen insgesamt als eine in sich gleichartige Serie erscheinen. Die Wiederholungsgefahr muss durch bestimmte Tatsachen begründet werden, die eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Taten erkennen lassen, dass die Besorgnis begründet ist, er werde die Serie gleichartiger Taten noch vor einer Verurteilung wegen der Anlasstat fortsetzen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Vorstrafen des Beschuldigten, die Abstände zwischen ihnen, die äußeren Umstände, in denen er sich bei Begehung der Taten befunden hat, seine Persönlichkeitsstruktur und sein soziales Umfeld. Die Sicherungshaft muss erforderlich sein. Wenn die vom Beschuldigten ausstehenden Gefahr durch andere Maßnahmen, Anstaltsbehandlungen eines Sittlichkeitsverbrechers, Drogentherapie eines Rauschgiftsüchtigen, abgewendet werden kann, ist sie unzulässig.

§ 112a Nr. 1 StPO

Die Anlasstaten nach Nr. 1 sind Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Eine solche Tat braucht weder fortgesetzt noch wiederholt begangen worden zu sein. Die einmalige Begehung reicht aus, denn bereits sie lässt weitere Taten ähnlicher Art befürchten. Diese Vorschrift bezweckt, einen besonders schutzwürdigen Kreis der Bevölkerung vor mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden schweren Straftat zu bewahren. Die 2007 neu aufgenommen Deeskalationshaft bei Straftaten nach § 238 Abs. 2 und 3 StGB („Stalking“) soll dem Opferschutz dienen.

§ 112a Nr. 2 StPO

Anlasstaten nach Nr. 2 sind Straftaten, die erfahrungsgemäß besonders häufig von Serien- und Intensivtätern begangen werden. Die Verhaftung wegen Wiederholungsgefahr ist hier zusätzlich davon abhängig gemacht, dass die Tat wiederholt oder fortgesetzt begangen worden ist und es sich um eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat gehandelt hat. Dieses Erfordernis bezieht sich nur auf die Anlasstat, nicht auf die künftig zu erwartenden Straftaten gleicher Art. Da die Katalogstraftaten des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO schon generell schwerwiegender Natur sind, der Anwendungsbereich aber durch das Merkmal der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung noch weiter eingeschränkt werden soll, sind Anlasstaten erforderlich, die einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt aufweisen und geeignet sind, in weiten Kreisen der Bevölkerung das Vertrauen in Sicherheit und Rechtsfrieden zu beeinträchtigen. Es muss sich um solche Taten handeln, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen. Maßgebend bei der Bewertung sind Art und Umfang des jeweils angerichteten Schadens, dabei kommt es auf die Schadenshöhe der einzelnen Anlasstat an. Der erforderliche Schweregrad ist noch nicht erreicht bei Anlasstaten aus dem Bereich der Eigentums- oder Vermögensdelikte, durch die Vermögensschaden in Höhe von nicht mehr als 2000 Euro verursacht worden sind. Nach dem BGH ist ein Vermögensverlust „großen Ausmaßes“ im Sinne des § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB erst bei einem Wert von 50000 Euro erreicht. Ist die Anlasstat eine gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB, so kommt es maßgeblich auf deren konkrete Ausgestaltung und das Ausmaß der Tatfolgen unter Berücksichtigung der Opferperspektive an.

Haftprüfung

Das förmliche Haftprüfungsverfahren führt zur Entscheidung des Haftrichters darüber, ob der Haftbefehl aufzuheben oder außer Vollzug zu setzen, § 116 ist bzw. ob die Untersuchungshaft fortdauert. Der Beschuldigte bzw. der Strafverteidiger kann jederzeit die Haftprüfung beantragen, solange er sich in Untersuchungshaft befindet. (Beim Sicherungshaftbefehl nach § 453c StPO ist allerdings ein Haftprüfungsverfahren ausgeschlossen.)

Den Antrag auf Haftprüfung kann auch der gesetzliche Vertreter stellen und auch der Strafverteidiger, jedoch nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Beschuldigten (§§ 118 b, 297 StPO). Antragsvoraussetzung ist, dass der Haftbefehl vollzogen wird, über dessen Aufrechterhaltung oder Außervollzugsetzung entschieden werden soll, dagegen nicht, wenn Haftverschonung § 116 StPO gewährt ist. Der Richter wird durch das förmliche Haftprüfungsverfahren, welches mit einer ausdrücklichen Entscheidung endet, gezwungen, dem Beschuldigten rechtliches Gehör zu schenken (§ 33 Abs. 3 StPO) und mündlich zu verhandeln, wenn der Beschuldigte dies beantragt, § 118 Abs. 1 StPO. Die Entscheidungskompetenz des Haftrichters ist umfassend. Er kann den Haftbefehl aufrechterhalten, aufheben, außer Vollzug setzten oder inhaltlich abändern. Die Entscheidung des Richters ergeht durch begründeten Beschluss. Solange die Untersuchungshaft andauert, kann der Haftprüfungsantrag beliebig oft wiederholt werden, allerdings besteht erst zwei Monate nach der ablehnenden Entscheidung des Haftrichters wieder ein Anspruch auf mündliche Verhandlung. In der Regel gibt der Haftrichter daher vor seiner Entscheidung einen Hinweis, falls er die Aufrechterhaltung des Haftbefehls beabsichtigt. Dies gibt dem Strafverteidiger die Möglichkeit, den Antrag auf Haftprüfung zurückzunehmen, um die zweimonatige Ausschlussfrist zu vermeiden.

Der Strafverteidiger wird darauf bestehen, vor der Antragsstellung Akteneinsicht zu nehmen, insbesondere wenn dies zur Beurteilung des dringenden Tatverdachts, der Straferwartungsprognose und der Haftprüfung erforderlich ist. Eine Haftprüfung führt in der Regel nur dann zu einem positiven Resultat, wenn im Verhältnis zum Sachstand im Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls Aussicht auf eine Bewertungsänderung infolge einer neuen tatsächlichen oder rechtlichen Beurteilungsgrundlage besteht. Der Strafverteidiger kann neue Tatsachen auf dem Gebiet der Haftgründe vorbringen. Es können familiäre, soziale, berufliche und wirtschaftliche Bindungen gegen eine Flucht-, Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr sprechen. Im Fall von Drogenabhängigen kommt eine Drogentherapie als Voraussetzung einer Haftverschonung in Betracht. Der Strafverteidiger muss in dem Fall Kontakt zu Drogenberatungseinrichtungen aufnehmen, damit der Mandant einen Therapieplatz erhält.

Dem Strafverteidiger steht auch die Möglichkeit offen, Zeugen zum Haftprüfungstermin hinzuzuziehen. Der Strafverteidiger hat die Möglichkeit, Kontakt zu dem zuständigen Vertreter der Staatsanwaltschaft aufzunehmen. Dadurch kann in Erfahrung gebracht werden, wie sich der Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft zu dem Haftprüfungsantrag stellen wird. Der Haftrichter ist an diese Stellungnahme nicht gebunden, aber aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden kurzen Einarbeitungszeit wird er häufig auf die überlegene, fallbezogene Sachkunde des Staatsanwalts vertrauen. Auch kann eine Einigung mit dem Staatsanwalt darüber erzielt werden, unter welchen Voraussetzungen zumindest an eine Haftverschonung zu denken ist. Diese Gründe können dann schon im Haftprüfungsantrag berücksichtigt werden. Es gibt aber auch Fälle, bei denen es sinnvoll ist, zunächst mit dem Haftrichter zu sprechen und dessen Meinung anschließend dem Staatsanwalt mitzuteilen.

In den Fällen, bei denen die Beweislage eindeutig gegen den Verhafteten spricht, wird der Strafverteidiger erwägen, dem Beschuldigten ein Geständnis im Haftprüfungstermin nahezulegen. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass der Richter als „Gegenleistung“ eine Haftverschonung beschließt. Ist das der Fall, wird der Verhaftete freigelassen und muss sich bis zu seiner Gerichtsverhandlung z.B. mehrmals wöchentlich bei der Polizei melden oder eine Kaution hinterlegen. Welche Vorgehensweise erfolgversprechender ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Haftbeschwerde

Gegen die Entscheidung, die im Haftprüfungsverfahren ergeht, ist gemäß § 117 Abs. 2 S. 2 StPO die Beschwerde möglich. Das Verfahren der Haftbeschwerde unterliegt der allgemeinen Regelung der Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO. Die Haftbeschwerde ist bei dem Ermittlungsrichter einzulegen. Der Richter kann der Beschwerde entweder abhelfen oder sie dem Beschwerdegericht vorlegen. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist die weitere Beschwerde gem. § 310 StPO zulässig.

Die Haftbeschwerde kann gegenüber der Haftprüfung vorzugswürdig sein, wenn der Bestand bzw. Vollzug des Haftbefehls vor allem von Rechtsfragen abhängt oder komplizierte tatsächliche Fragen sachverständig zu beantworten sind.

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